Vor unserer zweiten Schwangerschaft hatte ich von dem Begriff der „Haptonomie“ noch nie etwas gehört. Schon gar nicht über ihre Wirkungsweise für Schwangerschaft und Geburt. Es war mein Mann, der nach einer Tagung ganz euphorisch nach Hause kam und beschloss „wir machen eine haptonomische Schwangerschaftsbegleitung!“ Ich zuckte nur mit den Schultern und nickte. Wenn er so begeistert war, musste es sich wohl um etwas ganz Besonderes handeln. Ich googelte und fand nichts. Auch nach mehrfachen Nachfragen konnte er es mir nicht wirklich begreiflich mache.
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Und dann war es so weit … Unser erster Termin bei Dr. med. Djalali in Düsseldorf. DER Haptonomie-Experte in Deutschland. Er erklärte uns viel und sprach uns so aus dem Herzen, als er die Wichtigkeit von Bindung in der Schwangerschaft von Mutter und Kind herausstellte. Doch er brauchte nicht viel zu sagen. Als er uns zeigte, wie man haptonomisch berührt, der Vater, die Mutter, das Baby, ab dann wurde uns Stück für Stück immer klarer, was Haptonomie ist. Es ist wirklich schwer zu beschreiben, doch ich will einen Versuch wagen.
Was ist Haptonomie?
Haptonomie ist „die Lehre der Berührung“ (Griechisch). Damit ist nicht nur die körperliche, sondern auch die innerliche Berührung gemeint. In der Schwangerschaft lernen die Eltern, ihr Baby auf sehr sanfte Weise „einzuladen“. Es ist wie ein Kontakt-Spiel. Der Vater lernt, das Baby im Bauch zu umfassen, also die Gebärmutter zu halten. Dann lernt er, es einzuladen, zu einer bestimmten Hand zu kommen. Je kleiner das Baby ist, desto größere „Wege“ muss es dafür zurücklegen. Es ist erstaunlich als Mutter zu spüren, wie sich das Kind in die Hand des Vaters drückt.
In jeder Berührung steckt der Wunsch nach echtem Kontakt, nach Verbindung. Da das Baby im Mutterleib jede Sekunde seines jungen Lebens berührt wird (von Fruchtwasser, Gebärmutter…), ist dies ein ganz natürlicher Kommunikationskanal.
Entwickelt wurde diese „Methode“ von dem Niederländer Frans Veltman in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts. In Frankreich befindet sich das Internationale Zentrum Frans Veltman für Forschung und Entwicklung der Haptonomie (www.haptonomie.org). Er definierte die Haptonomie als „Wissenschaft der Affektivität“.
Die Philosophie dahinter – mehr als eine „Methode“
Haptonomie ist sehr viel mehr als das, was man von Außen sieht: Hand auflegen. Es ist eine, wie Dr. Djalali sagt, Welthaltung. Es geht dabei um Hingabe, Geschehen lassen und das Kind seinen Weg machen lassen. Das Baby in dieser Form zu begleiten, ist haptonomische Geburtsbegleitung. Das Kind steht hier wieder im Mittelpunkt des Geschehens und nicht die Schmerzen der Mutter, wie es allzu häufig der Fall ist. Denn das Kind bringt sich auf die Welt, von der Mutter und ihren Begleitern unterstützt. So liegt auch der Fokus der Mutter auf ihrem Baby und wie es den Weg beschreiten kann. Dabei kann sie unangenehme Empfindungen sehr viel besser bewältigen.
Das Setting
Der Kontakt von Vater zur Mutter ist sehr aufmerksam. Zu Beginn positioniert der Vater die Mutter halb liegend und achtet schon hier darauf, dass jede Berührung „beseelt“ ist, also von Herzen kommt. Dabei schaukelte er sie durch sanfte Bewegungen am angewinkelten Bein leicht, wodurch das Baby ebenfalls geschaukelt wird. Das hilft zu entspannen, die Beine kommen in eine offene Haltung und das Hohlkreuz wird korrigiert. Danach erst widmet er sich ganz der Gebärmutter und seinem kostbaren Inhalt. Er hält das Baby im Bauch der Mutter in seinen Händen, was für den ein oder anderen Vater zunächst etwas Überwindung kostet. Dann schaukelt er das Baby sacht und lädt es in eine seiner Hände hinein, indem er damit zuerst zum Baby hin und dann die Hand leicht auf dem Bauch ruhen lässt. Nichts geschieht unter Zwang. Das Baby wird nicht an einen gewünschten Ort gedrückt oder geschoben. Daher der Begriff der „Einladung“.
Die Mutter hat nichts weiter zu tun, als ganz bei ihrem Baby zu sein. Sie kann ihr Baby durch den inneren Kontakt zu einer Seite des Bauches einladen. Nach der gemeinsamen Übung bleibt die Mutter noch für ca. eine halbe Stunde in diesem entspannten Zustand liegen, um diesen zu vertiefen und für die Geburt zu „üben“ und um in einen inneren tiefen Kontakt mit dem Baby zu gehen.
In jeder der insgesamt 7-8 Sitzung kommen neue Informationen und auch Übungen dazu. Einige davon sind speziell für die Geburt, falls sich die Mutter hier Schmerzlinderung wünscht. Die „Übungen“ sollen zu Hause möglichst täglich oder eben so oft wie möglich angewendet werden. Darüber hinaus bekommt die Mutter noch eine extra Anregung. Sie soll versuchen, den ganzen Tag über, bei jeder Tätigkeit zu einem gewissen Teil die Aufmerksamkeit bei ihrem Baby haben. Viele Haptonomie-Mamas (so wie ich auch) laufen also, wann immer es geht mit einer Hand auf dem Bauch herum. Dadurch wird man ein Stück weit daran erinnert, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Und zum anderen gewöhnt sich das Baby daran, dass Berührung Kommunikation ist. Es fühlt sich gehalten.
Welche Vorteile bringt die Haptonomie?
Die Vorteile einer so intensiv erlebten Schwangerschaft und vorbereiteten Geburt sind vielfältig.
Das Setting an sich sorgt schon dafür, dass die Eltern bereits während der Schwangerschaft viel Zeit mit dem ungeborenen Baby ganz bewusst GEMEINSAM verbringen. Der Vater ist kein Außenstehender und weiß genau, was er machen kann, um seine Frau während der Geburt zu unterstützen.
Wenn ältere Geschwister da sind, wie es bei uns auch der Fall war, können diese mit integriert werden und kennenlernen, wie es wohl mit Geschwisterchen sein wird. Unsere Jungs hatten viel Spaß daran, das nachzumachen, was der Papa mit meinem Bauch und dem Baby gemacht hat. Manchmal konnten wir sie beim „Haptonomie-Spiel“ beobachten. Dann zog einer sein Hemd hoch und legte sich hin und der andere schaukelte vorsichtig mit den Händen seinen Bauch. Solche Momente sind einfach Gold wert!
Die Mama kann sich dabei richtig schön entspannen und den Kontakt zu dritt genießen. Das erleichtert ihr später diesen Kontakt auch in einer so speziellen Situation wie der Geburt aufrechterhalten zu können.
Durch die spielerische Art, das Baby einzuladen, wird die Hohlkreuz-Problematik reduziert. Ich bin jemand, der sehr dazu neigt. Doch es war tatsächlich so, dass ich mit den gelernten Übungen dazu mein Baby ganz dicht zu mir holen konnte und so bis zum Ende der Schwangerschaft in einem sehr fitten und beweglichen Zustand blieb.
Der Vorteil für die Geburt ist natürlich spannend. Schon alleine durch diesen intensiven Kontakt zum Baby während der Geburt, wird die Geburt erleichtert. Die Mutter wird zur Einheit mit ihrem Baby. Sie arbeiten ZUSAMMEN. In dieser Verbundenheit unterstützt die Mutter ihr Kind darin, seinen Weg zu finden. Sie und ihr Körper arbeitet MIT ihm und nicht GEGEN ihn. Dadurch wird die Geburt auch als weniger schmerzhaft empfunden.
Meine Erfahrung mit der Haptonomie
Ich erzähle (und schreibe) wirklich gerne von der Haptonomie, um das Wissen darüber zu verbreiten. Denn meine Erfahrung damit war wirklich wunderbar. In Kombination mit der Bindungsanalyse, die ich schon früh in der zweiten Schwangerschaft gestartet hatte, führte es mich zu einer für uns alle „perfekten“ Geburtserfahrung.
Wir haben es zwar nicht immer täglich geschafft die Übungen zu vertiefen, doch eben so oft wie es ging.
Als Mutter und gleichzeitig auch Fachperson, denn Bindung von Anfang an ist auch ein Schwerpunkt-Thema bei uns, war es spannend zu erleben, was ein dauerhaft bewusster Kontakt bedeutet. So konnte ich ganz deutlich wahrnehmen, wenn ich den Kontakt verloren hatte oder wenn vonseiten des Kindes gerade mal gar kein Kontaktbedarf bestand. Das sind natürlich gute Voraussetzungen für ein so großes gemeinsames Abenteuer, wie die Geburt.
Auch wenn ich nicht behaupten kann, dass meine Geburt schmerzfrei war, bin ich doch wieder überrascht gewesen, wie gut ich mit diesen Empfindungen umgehen konnte. Ich brauchte wirklich nicht viel, um mich durch die Geburt mit meinem Kind zu arbeiten. Mit einer Hand auf meinem Bauch war ich bei meinem Kind, aber vor allem innerlich blieb ich ansprechbar und offen.
Tatsächlich endete diese Geburt in einer ungeplanten Alleingeburt. Das lag wirklich nicht daran, dass sie besonders schnell ging. Die Geburt zog sich von einer Nacht über den Tag und in die nächste Nacht. Doch der Verlauf der Wehen war nicht typisch und bis zum Ende sprach wenig dafür, dass die Geburt so kurz bevorstand. Die Abstände zwischen den Wehen waren nämlich länger als gewöhnlich und das bis zum Schluss. Wir fühlten uns durchgehend zu Hause sehr wohl und hatten nicht das Bedürfnis nach weiterer Unterstützung. Die Fruchtblase öffnete sich erst, als unser Baby geboren wurde. Mein Mann war ein super Geburtsbegleiter und ich gebar unsere Tochter in der Position, in der wir die haptonomischen Übungen gemacht hatten: liegend. Das ist sehr interessant, da diese Position von Hebammen oft als schlecht angesehen wird, in Krankenhäusern aber oft Pflicht ist. Ich habe nicht darüber nachgedacht und war damit sehr zufrieden. Aus meiner Sicht ist es mit der liegenden Position so: wenn ich mich intuitiv dazu entscheide und es sich gut anfühlt, ist es auch gut. Wenn ich dazu gezwungen werde und mich ausgeliefert und unwohl fühle, ist es nicht die richtige Position. Doch haptonomisch begleitete Geburten enden wohl vielfach in dieser Position.
Wir gerieten weder in Panik noch waren wir unglücklich mit der Entscheidung unserer Tochter, zu Hause, alleine, mit uns zur Welt zu kommen. Das verdanken wir einer optimal begleiteten und intensiv erlebten Schwangerschaft.
Weiterführende Literatur:
Christine Müller-Mettnau: „Gestillte Sehnsucht – Starke Kinder“
www.haptonomie.org
https://drmdjalali.wixsite.com/haptonomie