Die seelische und psychische Gesundheit sollte bei der Entscheidung, ob der Partner mit zur Geburt darf genauso Gewicht haben, wie die körperliche Gesundheit.
Natürlich muss gewährleistet sein, dass das geburtshilfliche Team kein Risiko eingeht und sich durch Ansteckung der Hebammen-Mangel im Kreißsaal noch verschlimmert. Andererseits lässt sich jedoch wohl kaum annehmen, dass sich der schon vorher vorhandene Hebammen-Mangel durch die Corona-Situation verbessert hat. Geburten lassen sich nicht aufschieben.
Daher frage ich mich, wer begleitet denn nun die Frauen, die ohne Partner und ohne Geburtsbegleitung im Kreißsaal sind? Wer übernimmt die Rolle der Vertrauensperson? Wenn Frauen sich schon vor Corona alleingelassen und hilflos in der Geburt gefühlt haben, wie ist es dann jetzt in Kliniken, die keine Begleitung durch den Partner oder eine andere Vertrauensperson mehr erlauben? Gibt es hier nun mehr Seelsorger oder Hebammen, die diesen wichtigen Part übernehmen? Ich fürchte nicht.
Diese Verordnung wird zu mehr Schwierigkeiten und Problemen als Nutzen führen. Denn die Babys werden geboren, egal wie. Es ist aber nicht egal wie wir geboren werden. Klar ist es wichtig, dass sie die Geburt “überleben”. Doch was nützt es körperlich “gesund” zu sein, wenn man keine Lebensfreude hat? Die seelischen Schmerzen können ebenfalls unerträglich sein.
Alles was Mutter und Kind für eine leichte und freudvolle Geburt brauchen, ist das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Dann können sie loslassen und sich dem transformierenden Prozess der Geburt voll hingeben. Eine Frau braucht zum gebären die selbe Atmosphäre, wie in der Liebesnacht, in der das Baby entstand. All das, was dazu beigetragen hat, dass sie sich dort fallen lassen konnte, braucht sie nun wieder für die Geburt. Dass der Partner hier eine hilfreiche Stütze sein kann, liegt auf der Hand. Oft reicht schon seine Anwesenheit, damit die Frau das nötige Vertrauen hat, die Geburtsreise zu vollbringen. Durch meine Begleitung von Paaren in der Folgeschwangerschaft nach traumatischen Geburten weiß ich, wie wichtig das Erlebte für die ganze Familie ist. Ja, Geburtstrauma war schon ein großes Thema vor diesen Verordnungen durch Corona. Meine Befürchtung ist jedoch, dass nun solche Situationen provoziert werden, ohne dass sich das wirklich rechtfertigen lässt. Denn die Folgen für die Familie nach emotional belastenden oder gar traumatischen Geburten sind enorm. Angefangen von Stillproblemen, unsicherer Bindung zum Kind, was Auswirkungen für sein gesamtes Leben bedeutet, Paarprobleme, gestörte Sexualität, soziale Isolation, gestörter Bezug zum eigenen weiblichen Körper bis hin zur Arbeitsunfähigkeit auch Jahre später u.v.m.
Ich weiß, dass ich nicht die einzige Quelle bin, die diesen Standpunkt vertritt. Es ist mir wichtig, an dieser Stelle nochmal den psychologischen Nutzen der Begleitung durch den Partner herausstellen und welche Probleme geschaffen werden, wenn diesem die Teilhabe an diesem besonderen Moment verwehrt wird.
Durch die Kenntnis über das Angst-Verspannungs-Schmerz-Syndrom ist davon auszugehen, dass Frauen, die nun in dieser Situation ein Kind gebären sollen, noch weniger eigene Schmerzmanagement-Kompetenzen haben als gewöhnlich. Dadurch werden vermehrt Interventionen notwendig werden, was schon alleine durch die fehlende Begleitung verursacht wird. Ganz schnell befinden sich die Gebärenden dann in einer Interventionsspirale, die sich negativ auf den natürlichen Geburtsverlauf auswirkt und nicht selten im Kaiserschnitt endet. Und selbst wenn es nach zahlreichen Interventionen zu einer vaginalen Geburt kommt, wird das Geburtserleben maßgeblich beeinflusst.
Wo wir nun über all dieses Wissen verfügen und es jedem völlig klar ist, dass Geburt und Tod ganz viel mit mentalen und psychischen Komponenten zusammenhängen, muss auch in einer Krise, wie sie durch den Corona-Virus verursacht wurde, möglich sein, dass jedes Kind in Würde geboren werden kann. Denn die Auswirkungen betreffen nicht nur die einzelnen Familien, sondern auch uns als Gesellschaft. Geburtsarbeit ist prägend für die Gesellschaft. Denn so wie wir geboren werden, in Liebe und Geborgenheit oder in Angst und Stress, ist unser erster Eindruck von dieser neuen Welt. Eine sichere Bindung von Anfang an legt das Fundament für das weitere Leben dieses neuen Erdenbürgers. Frauen nicht so gebären zu lassen, wie es für jede einzelne am optimalsten ist, ist lebensfremd.
Es muss alles dafür getan werden und sei es durch noch mehr Vorsichtsmaßnahmen, dass Frauen mit der Person an ihrer Seite gebären können, die sie bei der Geburt brauchen. Es gibt zum Glück genug Kliniken, die eine Lösung dafür gefunden haben. Und es gibt zahlreiche Hebammen und Ärzte, die eine solche Verordnung nicht unterstützen. Weil sie um die Wichtigkeit des Geburtserleben wissen.
Und bezüglich des Gesundheitssystems, das überlastet werden könnte: wenn wir durch die Verordnungen aufgrund von Corona bei der Geburt, durch ansteigende häusliche Gewalt oder Verschlechterung psychischer Erkrankungen zu einem erhöhten Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung führen, kann auch dies mit Sicherheit irgendwann nicht mehr adäquat abgedeckt werden. Die Wartelisten bei Psychotherapeuten und Traumatherapeuten sind jetzt schon viel zu lang. Um aber eine Chronifizierung einer Traumafolgestörung zu verhindern, bedarf es einer schnellen Intervention. Umso schneller Mutter und Kind Unterstützung bei der Bewältigung der Geburtserfahrung erhalten, desto geringer ist das Risiko, dass sie eine ausgeprägte Traumafolgestörung entwickeln.
All diese Faktoren sollten bei der Entscheidung zum Umgang mit der Corona-Prophylaxe beachtet werden.
Es ist nicht egal, wie wir geboren werden! Seelische Unversehrtheit ist genauso wichtig, wie die körperliche Unversehrtheit! Geburt ist nicht irgendein Vorgang, den man kontrollieren oder nach äußerlichen Dingen beeinflussen kann. Durch die Geburt wird die Frau zur Mutter, der Mann zum Vater und das Kind bewältigt den ersten großen Übergang in seinem Leben. Und wie wir Übergänge gestalten, beeinflusst unser ganzes Leben!